Aberglauben
Ich befuhr im Sommer 2004 die A 45 von Gießen in Richtung Wuppertal. Ich startete bei recht angenehmen klimatischen Bedingungen. Leicht bewölkt, überwiegend sonnig, angenehm warm- ein Tag wie geschaffen zum Motorradfahren. Kurz hinter Wetzlar, also nach knapp 20 Minuten, wurde die Wolkendecke dichter. Nach weiteren 20 Minuten stoppte ich auf einem Parkplatz, um die Regenkombi unter dem Sitz hervorzukramen. Es war zwar noch trocken, aber ich wollte EINMAL in meinem Leben die Gummipelle überziehen, BEVOR ich klatschnaß bin. Hähähä.. Diesmal klappt's.
Motor starten, langsam Beschleunigen. Die Kombi flattert ein bißchen- aber diesmal bleibe ich trocken wie ein Baby nach dem Wickeln. Beschleunigungsstreifen. Kurzer Blick in den Spiegel, scheint alles frei zu sein. Noch rasch den Kopf gedreht: Nichts in Sicht. Dann mal los. Zügig beschleunige ich die Fuhre auf Reisegeschwindigkeit. 140, 150, 160. Das reicht. Der Winddruck läßt sich aushalten, und trotzdem mache ich ordentlich Kilometer. Ich bin in Wuppertal verabredet und bin guter Hoffnung, den Termin halten zu können.
Es ist eine Lust zu fahren! Übermütig lege ich einen leichten Slalom auf die rechte Spur. Meine Fazer brummt vor Zufriedenheit. Ich könnte noch stundenlang so dahinsausen!
Dann beginnt es zu nieseln. Ganz leicht nur, eigentlich mehr gar kein richtiger Nieselregen, nur so ein wenig Feuchtigkeit, die sich auf's Visier legt. Weiter vorne ist der Himmel pechschwarz. Mir doch egal, ich bin gut verpackt!
Und der Regen nimmt zu.
Jetzt nieselt es so heftig, daß ich mit dem Handschuh auf dem Visier herumwischen muß. Mist, lauter schmierige Streifen. Ich sehe gar nicht mehr so richtig, was vor mir los ist. Ich fahre etwas langsamer.
Und der Regen nimmt zu.
Jetzt geht ein leichter Landregen nieder. Das ist ganz gut, denn langsam ist die Schmiere von der Scheibe runter. Ganz allmählich kann ich wieder vernünftig sehen. Die Insekten vom Morgen haben sich mittlerweile aufgelöst, das Visier ist wieder klar. Ich beschleunige etwas. Ich murmele so vor mich hin: "Das ist ja halb so schlimm!"
Und der Regen nimmt zu.
Jetzt regnet es doch ganz schön. Ich hatte mich schon geärgert, daß ich wegen der paar Tropfen die Unbequemlichkeit der Regenkombi in Kauf genommen habe, aber jetzt überprüfe ich doch noch rasch, ob die Stulpen der Handschuhe dicht sind, oder ob Wasser eindringen kann. Ein vorwitziger Tropfen hat sich unter den Kragen gemogelt und kitzelt mich fies hinten im Nacken. Ich sage halblaut "Wenn's so bleibt, komme ich doch noch gut an."
Und der Regen nimmt zu.
Jetzt gießt es in Strömen. Ich merke, wie der Regen langsam die Handschuhe durchweicht, der Tropfen im Nacken hat seine Freunde eingeladen und sich zu einem dünnen Rinnsal ausgewachsen. Ich sage "Mein Gott, muß das jetzt sein?" und gehe vom Gas.
Und der Regen nimmt zu.
Der Himmel hat seine Schleusen voll geöffnet. Jetzt prasselt es wütend auf mich ein. Immer wieder wilde Schauer, als wenn jemand im strömenden Platzregen im Sekundenabstand noch zusätzlich große Eimer über mich ausgießt. Der Strom, der den Nacken hinunterfließt, durchnäßt meine Unterwäsche. Das ist das schöne an Goretex-Klamotten: Sie lassen das Wasser zwar rein- aber nicht wieder raus. Die graue Bahn vor mir ist so gut wie unsichtbar. Ich wische hilflos mit dem linken Zeigefinger immer wieder über das Visier, drehe ab und zu den Kopf leicht nach rechts und links, um die Wassermassen vom Visier zu blasen. Aber dafür bin ich mit meinen mittlerweile unter 70 Km/h zu langsam. Die Schilder kann ich schon seit Minuten nicht mehr lesen. Meine Stiefel füllen sich mit Wasser. Es fühlt sich an, als ob die eiskalte Suppe im Schuhwerk hin- und herschwappt. Meine Handschuhe haben sich vollgesogen wie ein Schwamm beim Autowaschen.
Scheiße.
Es ist kalt.
Es ist ungemütlich.
Ich hasse das Leben im Allgemeinen und das Motorradfahren im Besonderen. Laut fluchend schüttle ich die geballte Faust nach oben:
"IST DAS ALLES?!?"
Da fängt es an zu hageln...
Zuletzt geändert am: 05.02.2009 um 21:58
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