Es geht schon im Herbst los: Eben konnte ich noch abends schön draußen sitzen, und noch vor dem zu Bett gehen das eine oder andere Gläschen leeren. Nach der Arbeit auf's Motorrad, noch einen kurzen, schnellen Abstecher an die Weser. Unterwegs noch 'nen Kumpel eingesammelt, und ab nach Cuxhaven (Kutterhafen), Mopeds angucken. Gegen Elf immer noch im hellen zuhause ankommen, und feststellen, daß ich die (dünne) Jacke eigentlich gar nicht benötigt hätte.
Oder mit Freunden abends ins Kino, und nach dem Film noch irgendwo schön draußen sitzen und ein Gläschen nehmen. Nachts um halb drei, wenn ich raus in den Hafen muß, brauche ich nur die Jeans und ein T-Shirt überziehen, Schuhe an, Aktentasche schnappen und ab an Bord. Auf dem Achterdeck brennt oft genug ein Grill, und die Leute sind gut drauf. Man mampft das eine oder andere Steak gemeinsam mit einer handvoll Filippinos, trinkt sogar mal ein Bier und fährt dann irgendwann gegen Fünf ins Büro. Ab etwa 10. September, draußen hat es noch fast 30 Grad, der erste Schock: Bei Aldi tauchen die ersten Dominosteine und Spekulatius auf der Aktionsfläche auf, wo eben noch Sonnenschirme und Elektrogrills feilgeboten wurden.
"Alarmstufe eins! Achtung, Großhirn an Fraro, Großhirn an Fraro: Wir sind auf Defcon 1! Dies ist keine Übung! Ich wiederhole: Dies ist keine Übung!"
Es dauert dann gar nicht mehr lange, bis sie das erste mal aus dem Radiowecker tönt, die Schwuchtelstimme von dieser englischen Ich-weiß-auch-nicht-warum-ich-in-der-Telefonzelle-meinen-Schwanz-in-der-Hand-hatte-Tunte:
"Plim...plimplimplim... plim-plim...plim-plim...
Last christmas, I gave you my heart,
but ther very next day, you gave it away.
This year to save me from tears
I'll give it to someone special..."
Der Radiomann kommentiert das noch mit einer ironischen Bemerkung, aber auch er hat längst bemerkt: Weihnachten total wird befohlen! Nach dem Fest ist vor dem Fest.
Je kürzer die Abende werden, desto massiver der Einsatz von Kunstschnee und Rauschegoldengeln in den Schaufenstern. Der Nachbar gegenüber baut seine Deko auf: Ein Lauflicht um das große Wohnzimmerfenster, drumherum ein Kranz aus roten Neonröhren. Im Fenster daneben das gleiche, nur kommen hier blaue Röhren zum Einsatz. In der Mitte beider Fenster diese unerträglichen blinkenden Sterne, die hektisch von einer Farbe zur anderen wechseln. Sein Gestrüpp im Garten mit Lichterketten vollgehängt, auf dem Rasen ein renntiergespann aus Draht- natürlich mit blinkenden Lämpchen. Daneben ein 1,50 m großer Plastikweihnachtsmann, der mit einem Arm winkt und jeden Passanten (dank Bewegungsmelder) mit einem blechernen "HO-HO-HO!" anpöbelt.Kinder auf dem Weg zur Schule trauen sich nur unter lautem Weinen an dem Monster vorbei. Es kann außerdem 5 Weihnachtslieder singen („It´s the most wonderful time of the year“, “Up on the housetop”, “Winter wonderland”, “We wish you a merry Christmas” und “Jingle Bells”), und bewegt (Wunder der Technik!) mehr oder weniger synchron die Lippen und das Gesicht.
Im Fernsehen stellt ein abgehalfterter Fußballspieler im Dienste eines Telekommunikationskonzerns seine alljährlich wiederkehrende Frage "..ja, is denn scho Woihnachten?!" -"NEIN!" möchte man ihm entgegenbrüllen, "DAS DAUERT NOCH ÜBER ZWEI MONATE!!!"
Doch dann:Die Abende werden kürzer, die ersten Nachtfröste machen sich breit.
Morgens kratzt man verschlafen und mit klammen Fingern die Scheiben notdürftig frei, setzt sich ins Auto und hört das ersterbende Röcheln des Anlassers. "Aha!" denkt sich der Werktätige (wohl wissend, daß er wieder mal zu spät kommen wird), "da hat wohl die Batterie den ersten Frost nicht überstanden!"
Überhaupt, Autofahren (das Wort "Motorrad" wage ich erst gar nicht zu erwähnen). Plötzlich sind nur noch Übervorsichtige Hausfrauen und geistesgestörte Raser unterwegs. Die einen glauben, sofort vor den Schöpfer treten zumüssen, sobald sie den zweiten Gang einlegen oder -"Schockschwerenot!"- die magische Schallmauer von 15 Km/h durchbrechen, die anderen glauben, mit den neuen Winterpneus allen Unbilden der Witterung nunmehr die ultimative Waffe entgegensetzen zu könne. "Winter? Glatteis? Findet ohne mich statt!" - Freie Fahrt für freie Idioten.
Und wenn man dann endlich im Büro angekommen ist, wo die besinnliche Leuchstoffröhre heimelig knistert und flackert, guckt man raus in eine endlose graue Matschwelt. Die 3 cm Schnee, die gestern Abend die Heimfahrt zur Tortour haben werden lassen, sind zu einer schmutzig-grauen Matschmasse zusammengeschmozen und taugen nur noch dazu, aufgrund ihres hogen Salzgehalts die Korrosion am Auto zu beschleunigen oder nichtsahnende Omis zur nächsten künstlichen Hüfte zu verhelfen. Und zu einem Fest der Liebe im Krankenhaus.
So soll eine Winterlandschaft aussehen?HA! (<--- bitteres Auflachen)
Ich kenne den Winter aber so:
Man arbeitet wie ein Einbrecher: Im dunklen aus dem Haus und im dunklen zurück.
Die Dörfer sind wie ausgestorben, man jagt keinen Hund vor die Tür, und die Städte sind voll mit genervten, übelgelaunten Zeitgenossen, denen der Streß der besinnlichen Zeit ins Gesicht geschrieben steht...
ICH WILL FRÜHLING!
* Außer so Sachen wie Weihnachtsgeld und zwei arbeitsfreie Tage natürlich...
Foto (1): Doris Roelfs, www.doris-cohrs.de