Der Sonne hinterher - Teil III
Montag, 06.09.2010: Die Verzweiflungsetappe
Lom-Oslo, 374 Km
Heute morgen war ich wieder früh wach. Schon um 08:00 Uhr kroch ich aus dem klammen Schlafsack, der Campingplatz ringsum lag noch ganz still und friedlich da. Aus dem Nachbarzelt hörte ich sanftes Sägen. Über dem Platz lag ein dichter Nebel. Kalte Feuchtigkeit zog in meine Klamotten. Ich beschloß, zunächst eine schöne, heiße Dusche zu nehmen. Eine geschlagene Viertelstunde ließ ich heißes Wasser über meinen Luxuskörper rinnen: Endlich mal eine Dusche ohne Münzeinwurf oder Kartenautomat! Da aus Markus' Zelt immer noch leichte Schnarchgeräusche erklangen (die gestrige Schottertour und der Psychostreß mit dem knappen Benzin müssen ziemlich an seinen Kräften gezehrt haben), setzte ich Teewasser auf. Nun trinke ich die erste, heiße Tasse Tee des Tages und träume vor mich hin. Im Müllbeutel unter dem Tisch befinden sich noch die Dosen von unseren kulinarischen Ausflügen des vergangenen Abends. "Hm," denke ich, "vielleicht sollten wir zu all dem Dosenfutter auch mal ein paar Vitamine zu uns nehmen!". Sofort taucht vor meinem geistigen Auge das Bild eines duftenden Obstsalates auf. Das wär's jetzt! Ich müßte eh noch ein bißchen Brot kaufen gehen, und gleich nebenan gibt es einen kleinen Supermarkt.
Durch den dichten Nebel taste ich mich bis zu dem Markt vor. Ich kaufe diverse Öbster und Brot. Beides ist sogar bezahlbar. Die meisten norwegischen Kaufleute haben meistens ein etwas anderes Preisgefüge im Kopf als ihre deutschen Kollegen. Müssen sie wohl auch, denn fast alles muß über weite Strecken transportiert werden; außerdem ist Norwegen als drittgrößter Öl-und Gasexporteur der Welt das reichste Land Europas. Hier werden ganz andere Gehälter gezahlt als zuhause, das schlägt sich wohl auch bei den Preisen nieder. Wieder zurück bei den Zelten beginne ich, Obst zu schälen und zu schnippeln. Markus ist inzwischen auch aufgestanden. Er huscht auch noch schnell zum Laden und kauft ein paar Bananen und ein Stück Käse. Ein STÜCK Käse. Keine Scheiben. Im Stück ist es billiger. Seufz! Während wir jetzt dasitzen und frühstücken, guckt Herr Kanada vorne aus seinem Wohnmobil. Offensichtlich bricht gerade sein Weltbild zusammen: Diese "Biker" sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Früher bestand ein echtes Bikerfrühstuck aus einer Dose Bier und zwei Zigaretten. Und wir beiden finsteren Gesellen sitzen neben unseren schweren Maschinen und futtern frischen Obstsalat und trinken dazu Tee und Mineralwasser. Unseren Abfall sammeln wir säuberlich in einem Beutel und entsorgen den im Container. Markus und ich müssen spontan lachen, als uns klar wird, wie das nach außen wirken muß.
So sieht im Jahre 2010 ein echtes Biker-Frühstück aus.
Der Nebel hat inzwischen aufgegeben und strahlendem Sonnenschein vor tiefblauem Himmel Platz gemacht. Auch heute werden wir erst spät starten, um unsere Sachen trocken einpacken zu können.Der Plan geht auf, und um 13:00 Uhr legen wir ab. Der späte Start ist kein Problem, weil wir eh keinen lange Tour fahren wollen. Stattdessen ist der Plan, daß wir uns etwa auf halbem Weg nach Oslo einen netten, kleinen Platz suchen. Die Strecke ist traumhaft schön. Die sehr schroffen Felsformationen der Westküste gehen langsam in ein freundlicheres Hügelland über, dafür durchfahren wir jetzt streckenweise dichte Wälder. Besonders die 245, die am Randsfjord entlang nach Jevnaker führt, ist ein Traum aus Kurven, Steigungen und Gefällen. Das ist das Geläuf, für das mein Motorrad gemacht ist: Keine Serpentinen, aber kurviges Geläuf, hügelauf und hügelab. Mollys bärenstarker Motor scheint vor Vergnügen darüber, daß er endlich mal sein ganzes Drehmoment zeigen darf, vor sich hin zu schnurren. So könnte ich noch stun-den-lang dahinfliegen! Anscheinend müssen wir das auch, denn blöderweise scheint es zwischen Lom und Oslo keinen Campingplatz zu geben. Auf der Karte sind zwar zwei Plätze eingezeichnet- aber zu finden ist nichts. Wir fahren und fahren, es wird später und später- aber es kommt kein Campingplatz. Leichte Besorgnis beschleicht uns. Jevnaker ist z. B.so ein Reinfall: Kein Zeltplatz ausgeschildert, und als wir bei einem Eingeborenen nachfragen, schüttelt dieser nur den Kopf. Wir dampfen also weiter Richtung Oslo.
Liebliche Landschaften auf dem Weg nach Süden
Der nächste Campingplatz ist in 30 Km Entfernung eingezeichnet. Wir fahren den großen Bogen Richtung Harestua. Wir wollen jetzt ankommen, und befahren die große, autobahnähnlich ausgebaute Reichsstraße 4. Es gibt sogar eine Abfahrt "Harestua", und gleich darunter -Juhuu!- ein Campingplatzzeichen. Wir folgen der Abfahrt und nähern uns einem Kreisverkehr. Laut Beschilderung soll der vier Ausfahrten haben; wir sollen die zweite nehmen und praktisch geradeaus über den Kringel fahren. Würden wir ja auch gerne tun- aber es GIBT keine Ausfahrt "geradeaus". Es geht nur links- oder rechtsherum. Auch sehr genaue Untersuchungen fördern keinen Feldweg oder dergleichen zutage. Hm. Ich drehe ein, zwei Runden im Kreisverkehr und überlege, was zu tun sei. Markus trifft eine spontane Entscheidung und nimmt die zweite Ausfahrt, biegt also quasi nach links ab. Meine Tendenz wäre ja aher rechts gewesen, aber nun ist er mal unterwegs- da sause ich am besten einfach hinter ihm her. Bald habe ich ihn wieder eingeholt, und wir fahren weiter. Und weiter. Und weiter. Nach 5 Km kommen uns Zweifel, ob wir hier richtig sind, denn es kommt nicht nur kein Zeltplatz, sondern auch kein weiteres Schild. Ich suche schon nach einer Wendemöglichkeit ("Ha! Hatte ich DOCH wieder Recht!"), da sehen wir von weitem das ersehnte Zeichen:
Okay, dann lag Markus eben richtig. Wir folgen dem Wegweiser und geraten auf eine Schotterpiste, die sich über einen guten Kilometer in sehr engen Kurven steil nach oben windet. Dazu kommen Schlaglöcher, die den Mondkratern zur Ehre gereichen würden. Wenn man in eines der Löcher hineingerät, erzeugt der dumpfe Aufprall ein Echo. Doch auch dieser fahrerische Alptraum hat irgendwann ein Ende, und nach gefühlten 100 Km kommen wir auf einem heruntergekommenen Resthof an. Ich vermute zunächst, daß wir hier falsch sind, denn von einem Campingplatz ist hier weit und breit nichts zu sehen. Doch das: Auf einem selbstbemalten Holzschild entziffern wir die verwitterten Buchstaben "Resepsjon". Knallhart schlußfolgern wir, daß dies das norwegische Wort für "Empfang" ist. Schon kommt über eine kniehoch mit Gras und Unkraut überwucherte Wiese, auf der in der Ecke unter einem Baum ein vergammelter alter Wohnwagen aus den 60er Jahren steht, ein leicht verwahrloster Typ in fleckigen Jeans und im ebenso fleckigen, ehemals weißen Unterhemd angeschlurft. Vom begnadeten Lästermaul Markus wird der gute Mann sehr zutreffend sofort Herr Biernot getauft.
Herr Biernot fragt uns nach unserem Begehr. Wir erzählen ihm, daß wir auf der Suche nach einem Platz für die Nacht sind. Herr Biernot strahlt uns an: Auf seinem Platz wäre noch was frei. Er deutet auf die besagte, kniehoch überwucherte Wiese. Naja, wir wollen ja nicht unseren Lebensabend hier verbringen. Wenn der Platz also wenigstens preiswert ist, dann würden wir bleiben. Wir erklären der verkrachten Existenz also, daß wir nicht viel Geld haben und einen billigen Platz suchen. Da wären wir bei ihm genau richtig, grinst die Existenz. Was der Spaß denn koste, fragen wir schüchtern? "Nur 240 Kronen!". Einen Augenblick lang gucke ich Herrn Biernot an, ich warte darauf, daß er jetzt irgendwie grinst oder lacht, ob seines Scherzes. Er guckt aber nur zurück und wartet offensichtlich auf eine Antwort. Ich schaue Markus an: "Der meint das völlig ernst! Der will über 30 Euro für die Parzelle!". Herr Biernot guckt uns immer noch erwartungsvoll an. Wir kriegen gerade noch ein "No, thanks!" heraus, da haben wir auch schon die Maschinen gewendet und sind wieder auf der Schotterpiste. Letzte Nacht in Lom haben wir auf diesem First-Class-Platz mit eigenem Bad, freier Dusche und Sauna mit 125,0 Nöksen nur etwas über die Hälfte bezahlt, am schweineteuren Geirangerfjord auf einem immerhin gepflegten Platz inmitten der Touristenhochburg 183,00 - und dieser komische Bauer will nochmal einen fetten Aufschlag für seinen verwilderten Vorgarten...?!
Nun werden wir durchfahren bis Oslo. Ist eh nicht mehr weit; vielleicht noch 50 Kilometer. Wir wollen einfach nur irgendwo pennen, wir sind von der Fahrerei und Sucherei müde. Es wird auch langsam dunkel, eine geeignete Stelle auf der grünen Wiese finden wir hier an der Schnellstraße auch nicht mehr. Leicht verdrossen nähern wir uns der norwegischen Hauptstadt. Großer Schreck: Da sind nur Mautstraßen! Das haben wir im Budget nun GAR nicht drin! Große Erleichterung: Motorräder brauchen nichts zu bezahlen. Norwegen ist eben doch ein sehr löbliches Land. Man versucht, auf andere Weise einen Obulus von uns zu erhalten: Alle 500 m steht ein Starenkasten. Ich übertreibe keineswegs, wenn ich sage: Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemals dermaßen viele Blitzer gesehen wie auf der Reichsstraße 4 Richtung Oslo. Markus und mich stört das nicht, wir halten uns bei den hiesigen Tarifen eh pingelig an die Tempolimits. Die anderen Verkehrsteilnehmer fahren uns nur so um die Ohren. Übrigens einschließlich der Schwerlast-LKW. Wie schaffen die es nur, dermaßen zu heizen ohne geblitzt zu werden? Fraro: Hier kannst Du was lernen!
Wir folgen einer ziemlich abenteuerlichen Beschilderung und einer noch abenteuerlicheren Verkehrsführung durch das nächtliche Oslo. Die gesamte Streckenführung scheint aus Tunneln und Kreisverkehren zu bestehen. Schließlich landen wir doch noch auf einem ansehnlichen Campingplatz. Wir rechnen mit dem Schlimmsten, was die Preise angeht- und werden nicht enttäuscht. Ist uns nach fast 400 Km auf Nebenstrecken aber ziemlich egal. Wir wollen nur noch runter vom Motorrad und ab in den Schlafsack. Morgen suchen wir uns einen billigeren Platz und starten danach unsere geplante Besichtigungstour. Landschaftlich war heute fast alles dabei: Vom Start weg haben wir uns die Berge hoch- und runtergeschraubt, auf zum Teil wirklich abenteuerlichen Strecken. Das hat viel Spaß gemacht. Am höchsten Punkt, mitten in einer Art Mondlandschaft waren wir auf knapp 1.400 m. Es folgten endlose Wälder aus verkrüppelten Birken. Diese etwas über mannshohen Bäumchen wichen mächtigen Tannen, die allmählich saftiger und prächtiger wurden, bis sie Platz machten für liebliche Täler. Die gegend um Oslo sieht zuerst ein bißchen aus wie der Schwarzwald, später wie die Schwäbische Alb. Das ist alles wirklich sehr hübsch- aber gemeinsam stellen wir fest, daß uns die Westküste mit der rauhen Schöheit der wilden Fjorde besser gefällt. Dadurch, daß es hier fast so wie in Deutschland aussieht, beschleicht uns so ein ungewisses "die Reise ist fast zuende"-Gefühl, obwohl wir noch nicht mal Halbzeit. Hier sieht aber irgendwie alles so nach Rückweg aus. Immerhin ist es hier deutlich wärmer. Ich sitze gerade bei der fünften Tasse Tee vor dem Zelt und schreibe diese Zeilen- aber zum erstenmal seit unserer Ankunft friere ich an diesem Abend überhaupt nicht. Das Wetter macht uns aber dennoch ein wenig Sorgen, denn die Bewölkung nahm den ganzen Tag über zu- und nun ist der Nachthimmel wolkenverhangen.Man sieht keinen einzigen Stern. Nur die umgebende Stadt (von der man sonst fast nichts sieht oder hört) beleuchtet die Wolkendecke von unten in einem warmen Orangeton.
Die wenigen Wetterberichte, die wir mitbekommen haben (meist von Landsleuten auf den Campingplätzen oder per SMS von zuhause) zeigen uns, daß wir vor einer fiesen Schlechtwetterfront herfahren. Wir sind ihr zwar immer einen guten Tag voraus- aber sie holt ganz langsam auf. Bis jetzt fahren wir aber immer noch der Sonne hinterher!
Dienstag, 07.09.2010: Kon Tiki & Co.
Ein Tag in Oslo, 20 Km
Markus beim Frühstück in Oslo
Neben uns steht ein Minizelt. Der Bewohner ist unterwegs mit einem kleinen, knallroten Citroen C1. Der Typ sieht ein wenig... nunja... schlicht aus. Also wie jemand, dessen Intelligenzquotient sich etwa der Außentemperatur anpaßt. Dem Autokennzeichen nach handelt es sich um einen Norweger. Markus lästert sich einen Wolf. Er entwirft ganz leise, am Tisch sitzend, die ganze traurige Lebensgeschichte des Mannes, gipfelnd in der Feststellung, daß der wahrscheinlich zuhause rausgeflogen ist und hier nun auf dem Campingplatz wohnt. Ich lausche seinen Ausführungen mit größtem Behagen und rutsche fast aus dem Sitz vor Lachen. Doch kurze Zeit darauf stellen wir fest: Nichts könnte falscher sein als diese unsere Unterstellungen. Der Mann spricht nicht nur ein ausgezeichnetes Englisch, sondern auch nahezu akzentfrei Deutsch. Ein kleines bißchen schämen wir uns, doch dann plaudern wir mit unserem neuen Bekannten drauflos. Der Herr ist sehr bescheiden und stapelt tief ("Ich praktiziere die Sprache zuwenig!") und behauptet, nur ein wenig Deutsch in der Schule gelernt zu haben. Erst später im Verlauf des Gesprächs, als er merkt, daß wir uns ehrlich für ihn und seine Geschichte interessieren, gibt er zu, daß er Sprachen studiert hat. Allerdings Russisch und nicht Deutsch. Das beherrsche er denn auch besser. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Diese stille, höfliche und freundliche Herr, den wir (aber nur unter uns und ganz leise!) für ein bißchen einfältig gehalten haben, spricht mindestens drei Sprachen fließend! Außerdem fährt er mehrmals im Jahr nach Berlin, weil er die Stadt so mag. Er wohnt in Bergen und nutzt die letzten warmen Tage im Jahr zu einem Ausflug durch sein Heimatland. Morgen will er weiterziehen, Oslo hat er sich schon angesehen. Wir fragen ihn natürlich sofort, was man denn gesehen haben müßte, und dann fällt das Zauberwort "Kon-Tiki Museum".
Ich bin elektrisiert. Wie komnnte ich DAS vergessen! Ich habe Thor Heyerdahls Buch über seine Floßreise über den Pazifik schon ein paarmal gelesen, das erste Mal als kleiner Junge und seitdem immer wieder. Und hatte ich im Internet nicht mal gelesen, daß das berühmte Fahrzeug nun in einem eigens errichteten Museum in Oslo ausgestellt ist? Ich hatte mir sogar schon mal die Tariflisten der Billigflieger rausgesucht, um vielleicht mal auf diesem Weg nach Oslo zu kommen. Ich wollte mir das Floß UNBEDINGT mal angucken. Und nun BIN ich in Oslo- und hatte das völlig vergessen. Ich bin wie aufgedreht und stürme auf Markus ein. Da WILL ich hin. Das MUSS ich sehen. Und wenn die meine Seele als Eintrittsgeld haben wollen, dann ist das eben so. Angenehmerweise ist Markus sofort einverstanden! Also er ist nicht damit einverstanden, mir die Seele zu nehmen, sondern in der Stadt das Museum aufzusuchen.
Der Campingplatz liegt direkt am Stadtrand. Wir bauen Koffer und Gepäck ab und fahren los- nach 15 Minuten und neun Kilometern stehen wir mitten im Zentrum der norwegischen Kapitale. Wir machen uns zunächst Sorgen wegen des Straßengewirrs. Aber bei Tageslicht betrachtet ist die Strecke gar nicht so schlimm, im Gegenteil: Oslo ist eigentlich recht übersichtlich. Wir stürmen hinunter zum Hafen und hier zum Anleger der Fähren und Touristenboote. Da liegen große, weiße, stolze Fährschiffe, futuristisch anzusehende Schnellfähren, Speedboote, Yachten... Es ist ziemlich viel los auf dem Wasser. Wir wissen, daß wir auf die andere Seite des Oslofjordes auf die Halbinsel Bugdøy müssen. Dort, direkt am Wasser, liegt das Kon-Tiki Museum. Am Infoschalter der Fährreedereien sagt man uns, daß wir inmitten all der prachtvollen, schneeweißen Schiffe den Landungssteg Nr. 91 suchen müssen; dort legt die Hafenfähre ab. Am Steg Nr. 91 angekommen, stellen wir fest, daß hier nur steinalte, kleine, gelbe Boote abfahren. Mit einem dieser häßlichen Entlein aus den 60er Jahren fahren wir dann zwei Stationen weit bis nach Bugdøy.
Oben: Ein gar schickes und stolzes Fährschiff. Unten: UNSER Fährschiff
Oslo vom Wasser aus gesehen
Wir klettern aus der alten (aber gemütlichen) Hafenfähre an Land- und stehen direkt vor der "GJØA", jenes legendäre Schiff, mit dem Roald Ammundsen die Nordwestpassage erkundet hat. Langsam werde ich zappelig wie ein Fünfjähriger vor Weihnachten. Wir nähern uns dem großen, weißen aber ziemlich schlichten Museumsbau, an dem mit großen, blauen Buchstaben die magischen Worte "Kon Tiki" zu lesen sind. Die nächste positive Überraschung ist der Eintrittspreis: 60 Nökse, also nicht mal acht Euro. Aber ganz ehrlich: Ich hätte auch 200 Nökse bezahlt. Wahrscheinlich sogar 300. Ähem. Doch damit noch nicht genug der freudigen Überraschungen: Wenn man den großen Raum des Museums betritt, dann steht man gar nicht vor der "Kon-Tiki", sondern vor der "Ra II", ein Papyrusboot, mit dem Heyerdahl den Atlantik überquert hatte. Ich wußte gar nicht, daß die auch hier ist! Die nächste Dreiviertelstunde bin ich lang und schlapp um das Boot herumgeschlichen, habe es aus allen erreichbaren Winkeln beguckt und fotografiert und bin darauf im Geiste durch den tosenden Atlantik geschippert. Auch Markus war ziemlich beeindruckt.
Im nächsten Saal ist es dann aber endlich soweit: Ich stehe mit leichten Schauern der Ehrfurcht vor einem der berühmtesten Wasserfahrzeuge der Geschichte. Ich kann es kaum glauben. Ich habe das Buch bestimmt fünfmal gelesen, bin mit Thor, Knut, Bengt, Erik, Torstein und Herman über den Pazifik gefahren und Salz geatmet. Nunja, zumindest in meinem Kopfkino. Und nun steht die Original Kon-Tiki vor mir. Oder besser: Ich vor ihr. Mein erster Eindruck: "Woah, ist das Ding groß!" Dann mache ich mir klar, daß dieses Floß für sechs Mann und 100 Tage der gesamte Lebensraum in den unendlichen Weiten des Stillen Ozeans war- und ich denke "Woah, ist die klein!" Und nun beschnuppere ich es bis in den letzten Winkel: Da müßte die Radiokiste gestanden haben, da ist Herman über Bord gesprungen, da steht ja auch der "Tauchkorb"... Alle Bilder in meinem Kopf sind plötzlich wieder da. Die Ausstellung ist so angelegt, als wenn die Kon-Tiki immer noch unterwegs wäre. Sie "schwimmt" jetzt in einem "Meer" aus Kunststoff. Man kann sogar unter die "Wasseroberfläche" gehen und sich die Unterseite ansehen. Dort hängt "Algenbewuchs", ein Walhai ("Woah! Ist der groß!") schwimmt untendurch, Fische und Rochen begleiten das Fahrzeug. Man kann sich sehr gut ausmalen, wie das Leben an Bord gewesen sein muß.
DAS Symbol für Freiheit, Abenteuerlust, Forscherdrang und unbändigen Wissensdurst. Dahinter das Papyrusboot "Ra II".
KON-TIKI von vorn: So präsentiert sie sich, wenn man ihren Saal betritt.
Ansicht von achtern. An Deck noch ein "gefangener" Hai.
Ansicht von unten. Der Walhai ist gigantisch!
Noch ganz beeindruckt überlassen wir das Floß seiner ewigen Fahrt durch das Plastikmeer und fahren mit der kleinen, leicht mülligen Fähre zurück in die Innenstadt. Hier wartet schon die nächste Sehenswürdigkeit auf uns: Osloerinnen. Wir können froh sein, daß wir schon verheiratet sind- ansonsten hätten Markus und ich heute Nachmittag noch einen Einbürgerungsantrag gestellt. Mädchen! Wo man hinguckt: Mädchen! Und eine sieht besser aus als die andere! Wir sind uns einig: Noch nie haben wie dermaßen viele geile Weiber attraktive junge Frauen auf einem Haufen gesehen. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hingucken soll und möchte sabbernd und auf allen Vieren durch die Fußgängerzone kriechen.
Wir sind dann aber stattdessen lieber für unsere eigenen Gattinnen einkaufen gegangen; und allein dafür haben wir den Friedensnobelpreis verdient. Die beste Ehefrau aller Zeiten hatte sich vor der Abfahrt von mir einen kleinen Troll gewünscht. In einer Touristen-Neppbude finde ich auch ein drolliges Trollpärchen. Markus läuft sich die Hacken ab nach einem Paar "Zehensocken". Ich wußte bis dahin auch nicht, was das ist: Es handelt sich um eine Art "Fingerhandschuh" für die Füße. Nun erstehen wir noch je eine Norwegen-Flagge, und dann können wir uns dem leiblichen Wohl widmen. Wir speisen, wie schon damals in Trondheim, bei einem amerikanischen Multimillionär. Wir sitzen am Rande der Fußgängerzone, futtern den einen oder anderen Burger (man soll ja immer auch mal in einem einheimischen Lokal essen, wenn man fremde Länder und Kulturen wirklich kennenlernen will!) und begucken uns die Leute. Unterwegs zum Motorradparkplatz geraten wir mitten in einen Promi-Auflauf. Dazu hier wortwörtlich die Notizen aus meinem Reisetagebuch:
"Auf dem Rückweg sind wir mitten in eine Show geraten. Ich habe einen Polizisten gefragt: Da wurde irgendsoein mächtig bedeutender Wissenschaftspreis verliehen. Die Promis wurden mit schwarzen Limos und SUVs vor den roten Teppich gekarrt. Nebenan spielte ein Heeres-Musikkorps, und ein paar bildhübsche, kleine Norwegerinnen zeigten viel Bein und etwas Flaggenakrobatik. Besonders niedlich war eine kleine Pummelige, die sich sichtlich abstrampelte, um bei den anderen Hupfdohlen mitzuhalten. Sie war immer leicht neben dem Takt und drehte sich gerne mal in die falsche Richtung. Dazu schnaufte sie wie eine kleine Dampflok, schwitze wie in der Sauna und hatte den zarten Teint eines gekochten Hummers. Mein Herz ging auf, denn ich habe eine Schwäche für Verlierer..."
Später, als wir wieder zuhause sind, habe ich nachgeguckt, was denn da nun für eine Preisverleihung stattfand: Es war die Verleihung des Kavli-Preises. Dieser Preis für verdiente Wissenschaftler ist immerhin mit einem munteren Milliönchen in US-Dollar dotiert und wird vom norwegischen König persönlich überreicht. Insofern mag meine Einschätzung vor Ort vielleicht ein kleines bißchen despektierlich gewesen sein, und statt der hübschen Tanzmäuse hätten wir wohl mehr auf die alten Männer im Hintergrund achten sollen.
Wieder auf dem Motorrad sitzend müssen wir den Weg zurück zum Campingplatz ziemlich suchen, denn die direkte Strecke ist durch eine Baustelle blockiert. Mit zweimal fragen haben wir aber auch diesen Weg gemeistert. Eine Sorge weniger für Markus...
Mittwoch, 08.09.2010 - Ein ereignisloser Tag.
Oslo - Vassbotten, 168 Km
Wir liegen sehr gut in der Zeit und haben gestern erheblich mehr Strecke gemacht als geplant- so brauchen wir heute nur eine sehr kurze Etappe zu fahren. Nicht, daß es etwas Schlimmes ist, wenn man den ganzen Tag auf dem Motorrad sitzt- aber es ist eben ein Unterschied, ob man den ganzen Tag darauf sitzen KANN - oder MUSS (z. B. weil die Zeit knapp wird). Und wir müssen nicht. Stattdessen stehen wir spät auf, packen in aller Seelenruhe zusammen und fahren erst spät ab. Vorteil: Wieder packen wir alles trocken ein. Das ist heute umso wichtiger, als das der Himmel uns eher bedrohlich als freundlich vorkommt. Dicke, schwere, dunkelgraue Regenwolken ziehen über Oslo. Aber: Es fällt kein Niederschlag. Wir fahren ja schon seit Tagen der Sonne hinterher, aber durch den Tag Pause, den wir hier in der norwegischen Hauptstadt gemacht haben, hat das Regentief etwas aufholen können. Aber noch sind wir vorn. Das Rennen bleibt spannend!
Wir durchqueren die Stadt in Richtung Südost. Aber auch als wir die Ortschaft mit ihren großen Autobahnen schon längst hinter uns haben, finden wir von der Schnellstraße nicht so recht runter. Es gibt keinen vernünftigen Alternativweg Richtung Süden. Jedenfalls nicht laut meiner Karte. Das ärgert uns ein bißchen, denn zum Autobahnbolzen sind wir nicht hergekommen, das können wir auch zuhause. Auch die Landschaft erinnert uns stark an die Norddeutsche Tiefebene: Es ist platt, und wo kein Getreide wächst, weiden Kühe. Ziemlich langweilig. Am Nachmittag schaffen wir aber doch den Absprung und nun sind wir wieder unterwegs auf Nebenstrecken. Und je näher wir der schwedischen Grenze kommen, desto hübscher wird auch die Landschaft wieder. Wir fahren jetzt durch dichte Tannenwälder, und allmählich wird es auch wieder hügeliger. Schließlich befahren wir mit der "22" eine sehr kurvenreiche kleine Straße, die uns viel Spaß macht. Die Landschaft besteht aus tiefen, großen Wäldern, die sich mit kleinen landwirtschaftlichen Nutzflächen abwechseln. Das ist alles wirklich hübsch, aber vor ein paar Tagen waren wir noch an der zerklüfteten norwegischen Westküste mit ihren hohen Bergen, tiefen Fjorden und gewaltigen Wasserfällen. Weit uns breit war keine Menschenseele zu sehen. Damit kann die hiesige Gegend einfach nicht konkurrieren. Wenn mich jemand fragen würde, wie er so eine Tour angeht, dann würde ich ihm raten, von Deutschland über Dänemark und Schweden an die Fjordküste zu fahren und dann mit dem Schiff nach Hause. Auf dieser Route würde sich die Landschaft jeden Tag steigern, bis der Reisende dann vor den tiefgrünen, salzigen Meeresarmen steht. So wird für uns das Panorama aber immer unspektakulärer, während wir gemächlich durch die Wälder ziehen. Und plötzlich sind wir auch schon an der Reichsgrenze zu Schweden.
Die skandinavischen Brudervölker haben nicht mal einen Strich auf die Straße gepinselt. Man weiß gar nicht, wann man die Grenze überquert...
Sobald wir über die Grenze sind machen wir wieder Campingplatz-Augen, und siehe da: Zwei Kilometer rein nach Schweden liegt auf der linken Seite ein hübscher (und sehr preiswerter!) Platz am Bullaren-See. Die Einheimischen nennen ihn "Bullaresjöarna", meinen aber dasselbe. Wir kannten den See vorher nicht und hielten ihn für einen besseren Dorfteich- aber weit gefehlt: Es ist der größte See der Region! Steht auf einer Tafel direkt am Wasser, die außerdem in mehreren Sprachen darauf hinweist, daß man erlegte Fische und Elche nicht an Ort und Stelle ausnehmen und Kindern Schwimmflügel anlegen soll. Der Platz liegt sehr malerisch, aber es ist recht kalt und sehr windig. Zum ersten mal auf dieser Tour spannen wir alle Sturmleinen unserer Zelte. Nun kann uns nichts mehr passieren! Von einem der (nicht anwesenden) Dauercamper leihen wir uns einen Stuhl als Windschutz für unsere Kocher. Es regnet zumindest nicht, und viel mehr verlangen wir ja gar nicht.
An diesem Abend sitzen wir noch lange draußen, trinken heißen Tee und klönen im wahrsten Sinne über Gott und die Welt.
-Weiter geht's in TEIL IV! -
Zuletzt geändert am: 11.03.2011 um 16:27
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