Eisbär

Veröffentlicht von Fraro am 21.11.2010
Eisbär »

Im Winter hat das Fahren mit einem einspurigen Kraftfahrzeug seinen ganz eigenen Reiz- birgt aber für den Piloten auch die eine oder andere interessante Herausforderung. Kaum einer wird so vermessen sein, bei Schnee und Glatteis auf sein Motorrad zu steigen und einen Campingausflug in Angriff zu nehmen ("nur die Harten komm' in'n Garten!"), aber auch wenn das Thermometer Werte anzeigt, die unter dem Gefrierpunkt von Wasser liegen, kann man den einen oder anderen netten Ausflug in Angriff nehmen.

 

Auch bei penibelster Vorbereitung und dem genauen Beobachten der amtlichen Wettervorhersagen kann es aber zu durchaus unliebsamen Überraschungen kommen- nämlich dann, wenn der Haftreibungskoeffizient zwischen der Bereifung Deiner Maschine und dem Straßenbelag die Piste plötzlich drastisch herabgesetzt wird. Das kann sich durch verschiedene Ereignisse bemerkbar machen, z. B. durch "verdammte Scheiße wo kommt denn plötzlich diese Eispfütze her?!" oder auch durch "...komisch, in UNSERER Straße ist der Schnee längst weggetaut!" *Sssssst- PATSCH!*

Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Winterglätte.

Da wäre zunächst die Schneeglätte.

Sie entsteht, wenn eine Schneeschicht durch die ganzen anderen Deppen, die bei so einem Dreckswetter unbedingt herumfahren müssen, zu einer netten, weißen Rutschbahn verdichtet wird. Hart wie VA Stahl und glatt wie der Zauberspiegel von Schneewittchens böser Stiefmutter. Besonders beliebt: Wenn die weiße Schicht einmal leicht antaut und dann über Nacht wieder schön festfriert. Diese Art von Glätte ist aber für Dich als Motorradfahrer eher ungefährlich, denn sie ist schon zu erkennen, wenn Du in Deinem Frottee-Schlafanzug aus dem Schlafzimmerfenster guckst. Bei so was fährt man gar nicht erst los. Die Gefahr, von diesem Straßenzustand unterwegs überrascht zu werden ist  recht gering, denn solange der Schnee noch fällt und schön fluffig ist, braucht man keine Angst zu haben. Aus dieser frischen, weißen Schicht eine echte Eisbahn zu machen dauert ein bißchen. Außerdem kannst Du das Zeug lange vorher sehen und dann die Streckenführung spontan umplanen.

Übler ist schon der fast getaute Schnee. Der raubt Dir nicht nur den Blick auf das, was sich unter ihm befindet- er kann auch selbst gemein schmierig sein. Dieses Zeug findet man bevorzugt als grau-schwarze Masse auf Hauptverkehrsstraßen. Da wo vor einer oder zwei Stunden der Streuwagen durchgerauscht ist und der Berufsverkehr anschließend alles schön durchgeknetet hat. Der Matsch stellt Dich vor allem beim Bremsen vor höchst  interessante fahrerische Herausforderungen:

Dann nämlich bildet sich gerne ein Keil vor den (blockierenden) Rädern. Diese rutschen dann erstmal schön hoch- und dann zur Seite. *Sssssst- PATSCH!*

Der Schneematsch hat noch einen interessanten Langzeiteffekt, denn er besteht zu 80 % aus gefrorenem Wasser, 40% aus flüssigem Wasser und 90% aus Salz. Ungefähr jedenfalls; ich bin Motorradfahrer und kein Mathematiker. Dieses Salz findet seinen Weg an Stellen Deines Motorrades, die Du bisher noch nicht einmal für Stellen gehalten hast. Wenn dann die Salzpampe auch nur eine Viertelstunde lang auf Stahl und/oder Alu einwirkt, dann sieht das Motorrad so aus als ob es zehn Jahre lang auf dem Grund eines radioaktiv verseuchten Tümpels gelegen hätte. Echte Winterfahrer erkennt man eben auch daran, daß sie im Frühjahr alle auf Ratbikes unterwegs sind...

Richtig unterhaltsam wird es dann, wenn der Frost wieder anzieht und das Schnee-Wasser-Salzgemisch entgegen aller physikalischen Wahrscheinlichkeit wieder einfriert. Dann ist es nicht nur glatt wie ein Eishockeyfeld- es ist auch buckelig wie das Gesicht eines pockennarbigen  Warzenschweins. Die Rallye Paris-Dakar zu fahren gleicht dagegen einem Sonntagsspaziergang im barrierefreien Park für Rollstuhlfahrer.

RICHTIG ekelhaft ist Eis. Eis kann man praktisch nicht sehen ("Höhöhö! Das Auto vor mir sieht aus, als wenn es hinten VIER Lampen hätte!" *Sssssst- PATSCH!*), es kann einen im Winter fast immer und fast überall treffen (bevorzugt natürlich an dem Punkt Deines Ausflugs, an welchem Du die größte Distanz zur heimischen Garage erreichst). Es kann eine Million Ursachen haben, es ist nie vorhersagbar und es verdammt Dich dazu, entweder Dein Motorrad abzustellen und Deinen Kumpel mit dem Anhänger anzurufen ("Holste mich ab?" – "...bei DEM Glatteis? Hast Du Nicht alle Fransen am Teppich?!") - oder das Wintertrike zu erschaffen.

Das Wintertrike

Beim "Wintertrike" handelt es sich um die bemerkenswerte Fahrtechnik, beide Beine fest auf den Boden zu stellen und mit den teuren Stiefeln über die Eisfläche zu gleiten. Dazu wird das Motorrad per Standgas, erstem Gang und schleifender Kupplung auf mörderische 0,2 bis 0,4 Km/h beschleunigt. So kannst Du einigermaßen sicher bis nach Hause rutschen. Oder zumindest bis zum nächsten Schlagloch, in dem Du mit einem Fuß hängen bleibst. Wichtig ist, daß Deine Schräglage niemals größer wird als z. B. bei einem Telefonmast. Das macht fast soviel Spaß wie ein Zahnarztbesuch. Aber auch nur fast.

Was Du aber auf keinen Fall aus dem Blick verlieren darfst, sind die erhöhten Betriebskosten für Deine Maschine in diesem Fahrmodus. Da ist nicht nur der Spritverbrauch von knapp 45 Liter/100 Km- da ist vor allem der Gummiabrieb. Nein, nicht von den Holzreifen, mit denen Du Geizhals diesmal die 25.000 Km schaffen wolltest- von deinen Stiefeln! Denn wenn es auch praktisch unmöglich ist, auf einer überfrorenen Straße auch nur aufrecht zu stehen- die Sohle Deines Schuhwerks schmirgelt sich ab wie auf Schleifpapier der Körnung 40...

Die schöne Seite des Winterfahrens

Schön ist aber die Freundlichkeit, mit der sich Motorradfahrer im Winter begegnen.  Da man sich gegenseitig als eisenharten Hund und echten Kerl (und das gilt auch für Frauen) identifiziert, wird allen Widrigkeiten zum Trotz gegrüßt was das Zeug hält. Auch wenn Du Dich den Rest des Wegs an der Maschine festklammerst wie jemand, der seinen ersten Tandemsprung mit dem Fallschirm absolviert oder wenn Deine Maschine schon am abkippen ist:

Linke Hand zum Gruß!

*Sssssst- PATSCH!*

 

 

Zuletzt geändert am: 03.12.2017 um 12:25

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