Friedhof der Kerbtiere

Veröffentlicht von Fraro am 28.01.2009

Wer ist im Sommer der größte Feind des wackeren Motorradfahrers? Autofahrer mit Hut? Sengende Sonne? Pinkelnde Hunde? Wütende Polizisten? Nein, es ist die bunte Welt der Kerbtiere (auf gut Lateinisch Insekten), die einem das Leben zur Hölle machen kann...

 
An einem warmen Sommertag, sagen wir, Mitte August, ist der muntere Biker mit seiner Maschine unterwegs über kurvige Landstraßen. Das Tempo ist zügig aber nicht wild, das Visier halb geöffnet, um den einen oder anderen Luftzug schnappen zu können- da passiert es: Ein lauter Knall- und ein fieser, fetter Käfer ist genau auf der Unterkante des Visiers eingeschlagen. Einen Teil seiner Innereien verteilt er über die Sichtfläche, den (größeren) Teil bekommt der Motorradfahrer ins Gesicht- und da bevorzugt in den Mund.
 
Während eine schleimige Spur gelb-grünlichen Insektengekröses mit dem Fahrtwind langsam die Scheibe entlangwabert und dabei dünne, unappetitliche Fäden zieht, hofft der Getroffene immer noch, daß das, was ihm gerade einen herb-bitteren Geschmack auf die pelzig werdende Zunge zaubert, nicht von gleicher Beschaffenheit ist.

Es ist IMMER so: Kleinere Insekten zerplatzen auf der Scheibe des Visiers oder auf dem Helm selbst (und kleistern einem durch ihre unüberschaubare Anzahl langsam aber sicher das Sichtfeld zu), größere treffen GENAU die Unterkante eines halbgeöffneten Visiers. Und der Motorradfahrer bekommt dabei IMMER eine Riesenportion einer ekligen, oft leicht schleimigen, immer aber bitter schmeckenden Substanz ins Gesicht.

Die einzige Ausnahme von dieser ansonsten unerschütterlichen Regel bilden Maikäfer. Die knallen IMMER mitten AUF die Scheibe, um den gerade mal ein wenig träumenden Ritter auf seinem Feuerroß ebenso plötzlich wie unsanft in die Gegenwart zurückzuholen. Würde jemand den Mopedfahrer mit Handgranaten bewerfen, wäre der Effekt wohl weniger dramatisch als beim Aufprall eines etwa 1,50 m großen und 85 Kg schweren Maikäfers. Ich weiß nicht, ob die wirklich so groß sind, aber es fühlt und hört sich so an.
Ganz kleine Insekten suchen sich zum Sterben bevorzugt Textiljacken aus. Je kleiner sie sind, desto größer wird die Anzahl der kleinen Leichen, die sich während ihres Suizids in den Futterstoff bohren und von dort nicht mal mit Salzsäure oder ähnlich harten chemischen Keulen zu entfernen sind. Während einer sonntagnachmittäglichen Ausfahrt sind es schon mal zwei, drei Kilo Kleinvieh, die ein ambitionierter Fahrer auf diese Weise aus der Luft fischen kann.
 
Mittelgroße Kerbtiere dagegen sterben bevorzugt den Verkleidungs- und Kühlertod. Das sind Fliegen, Bienen und dergleichen. Die schaffen es, sich sogar bei einem Tempo von unter 20 Km/h zentimetertief in die letzte Rille eines Ölkühlers oder in die kleinste Ritze einer Vollverkleidung zu bohren. Von dort sind sie nicht einmal mit einem Dampfstrahler wieder zu entfernen.
 
Größere Wespen und Hornissen dagegen finden einen Weg unter das Halstuch, in den (geschlossenen!) Helm oder in die Handschuhe. Gerade Wespen sind da bei der Navigation besonders clever. Sie fliegen an, bremsen im letzten Moment ab, suchen die kleinste Ritze zwischen Helm/Kombi/Halstuch, landen in eben diesem Spalt und machen es sich gemütlich. Sie machen eine Büchse Bier auf, stecken sich eine Zigarette an, was auch immer- danach fangen sie aber an zu stechen.
 
Oft.
 
Sehr oft.

Ein alter Volksglaube sagt, daß sieben Hornissenstiche ein Pferd töten können. Das mag bei den Allergikern unter den Pferden stimmen, aber fünfzehn Stiche einer Hornisse in den Hals oder Arm können keinen Motorradfahrer töten. Wie kleine Nähmaschinen (ratatatatata!) schaffen sie es, eine unglaubliche Anzahl an Stichen zu platzieren, bevor das Moped steht, der Helm weggeworfen und das Halstuch zerrissen ist.

Schlechter bewaffnete oder weniger wendige Gliederfüßer suchen sich Stellen an ihrem Opfer aus, die nicht so gut gepanzert sind: Fahrer ohne Handschuhe. Nun kann man als gestandener Motorradfahrer nur darüber lachen (wenn auch ein wenig gezwungen), wenn man bei 180 Sachen einen fiesen Käfer auf die Finger bekommt. Das Lachen hat aber ein Ende, wenn dieser fiese Käfer genau zwischen den Fingerknöcheln zerschellt...       

Die raffinierteren Vertreter unter den Sechsbeinern schaffen es, einem die Fahrt zu versauen, ohne selbst den Löffel abgeben zu müssen: Sie krabbeln einfach in Helm, Handschuhe oder Stiefel des RASTENDEN Bikers- und nerven dann RICHTIG.

Diese kleinen Bestien warten, bis der Recke wieder komplett angezogen ist (Halstuch, Helm, Kinnriemen zu, Handschuhe, Handgelenk-Riegel...) und gerade so eben den letzten Parkplatz und die letzte Anhaltemöglichkeit für die nächsten 100 Km verlassen hat. Der Motorradfahrer fädelt sich auf die Autobahn ein, setzt den Blinker, will den ersten LKW überholen- da krabbelt ihm etwas ins Ohr...       

Sehr beliebt sind auch die Monster, die sich die Zylinderrippen luftgekühlter Motoren als Grabstätte wählen. Dort schaffen sie es, ohne auch nur im mindesten anzuecken, bis ganz zum Fuß jeder einzelnen Rippe durchzufliegen, am Zylinder selber zu zerplatzen und dann als bräunliche, halb verbrannte Soße an den feinen Lamellen wieder ans Tageslicht zu treten.

Motten bevorzugen dagegen Ritzen zwischen Verkleidung und Scheinwerfer, Zwischenräume an Brems- und Kupplungs
hebel oder den Behälter für die Bremsflüssigkeit.
 
 
Insekten bekommt man am Besten ab, wenn man sie gleich nach der Ankunft am Zielort ganz frisch entfernt, heißt es. Das mag bei Autos und deren glatten Motorhauben und großrippigen Plastikkühlern auch richtig sein. Aber was ist mit den verbrutzelten Resten an (verchromtem) Krümmer, Zylinder und Kurbelgehäuse eines Motorrades? Sogenannte "Insektenlöser" aus dem Baumarkt sind zwar in der Lage, einen Löffel aufzulösen- aber gegen Insektenleichen sind sie leider völlig wirkungslos. Da hilft nur mechanische Gewalt.       
 
Besonders Resistent gegen alle Versuche sich ihrer wieder zu entledigen, sind Rückstände, die rechts und links sowie oben am Helm vertrocknen. Die gehen nie wieder ab, weder mechanisch noch chemisch lässt sich diese Pest wieder entfernen.       

Eine einzige mehrtägige Tour im heißen Sommer reicht aus, um einem nagelneuen Helm auf Ewig die Optik eines pockennarbigen Leprakranken auf Molokai, der "Insel der Aussätzigen" zu geben. Abends beim Feierabendbier hat man nur noch schnell vor dem Zubettgehen sein Visier gereinigt- den Rest will man aber dann "zuhause, wenn ich einen richtigen Lappen und Seife habe" machen.

-Denkste!

Dieses Zeugs (woraus es auch immer bestehen mag) ist härter als Diamant, zäher als Naturkautschuk und chemieresistenter als jeder Kunststoff. Ich bin davon überzeugt: Hätte man aus diesem Material eine Beschichtung für die US-Spaceshuttles angefertigt- es wäre nie zu Problemen mit der Befestigung  oder Widerstandskraft der Hitzeschutzkacheln gekommen...

Zuletzt geändert am: 07.02.2014 um 11:20

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